Eine kurze Anleitung für mehr Lebensfreude
Beim Punkt Lebensfreude denke ich, habe ich ein bisschen Glück gehabt. Die habe ich nämlich praktisch mit der Muttermilch aufgesogen. Meine Eltern sind da beide echte Ausnahmetalente. So habe ich schon als Kind gelernt, dass das Glas immer halb voll ist und nie halb leer. „Für irgend etwas wird es gut sein“ – das war der Standardspruch meiner Mutter, wenn etwas schief lief. „Hätte auch schlimmer kommen können“ der Standardspruch meines Vaters. Beide können sich unglaublich an allen möglichen Kleinigkeiten freuen, an einem schönen Essen, am Wetter, an nettem Besuch, an einer guten Tasse Kaffee, einfach an allem. „Wie schön, dass wir DAS noch erleben dürfen“ – wie oft höre ich diesen Satz – früher war das mehr ein Spaß, heute, mit über 80, sehen meine Eltern wirklich jeden Tag als großes Geschenk an.
Aus der Forschung wissen wir, dass unsere Gedanken tatsächlich die Persönlichkeit formen können. Wer ständig bittere Gedanken hat, der hat irgendwann eine bittere Stimmung, und wer lange eine bittere Stimmung hat, der wird irgendwann als bittere Persönlichkeit wahrgenommen – wer will das schon? Und umgekehrt funktioniert das natürlich genauso.
Lebensfreude zu empfinden, wenn alles läuft im Leben, fällt den meisten nicht so schwer. Nun gibt es aber Momente, wo die Umstände so schrecklich sind, dass die Gedanken nur noch düster und dunkel sind – solche Phasen wird jeder mal erleben. Niemand hat immer nur Glück im Leben. Schöne und weniger schöne Phasen wechseln sich ab, wie Yin und Yang. Aber gerade in schlimmen Phasen ist es wichtig, die kleinsten Strohhalme zu nehmen und zu feiern. Ich lerne da oft von meinen Patienten. Ich habe schon Patienten erlebt mit fortgeschrittenem Krebs und Metastasen im ganzen Körper, die trotzdem vor Lebensfreude nur so gesprüht haben. „Jetzt genieße ich erst recht jeden Tag“, hat mir mal eine Patientin gesagt. „Wer weiß, wie lange ich noch lebe, und es wäre doch schade, wenn ich dann vor dem lieben Gott stehe, und sagen muss, dass ich meine letzten Wochen mit Heulen verbracht habe“ – da mussten wir zusammen lachen, und ich habe sie sehr bewundert mit dieser Haltung.
Was sind die wichtigsten Zutaten für Lebensfreude?
Lebensfreude und Dankbarkeit gehen Hand in Hand. Menschen, die dankbar sind, sind häufig sehr lebensfroh und umgekehrt. Dankbarkeit ist so einfach zu kultivieren, und doch so selten geworden. Dabei kann man schon morgens damit anfangen. Dass man in einem so bequemen Bett schlafen darf. Dass man unter der Dusche stehen kann mit fließendem warmen Wasser – diesen Luxus haben immerhin eine Milliarde Menschen auf der Welt nicht. Dass man sehen, hören und laufen kann.....dass man sich ein schönes Essen machen kann.....das man in einem Land lebt, in dem es keinen Krieg gibt. Dass man liebe Menschen getroffen hat an dem Tag. Dankbare Menschen sehen das ALLES und noch vieles mehr, und das macht sie zufrieden und froh.
Lebensfreude und Gelassenheit gehen Hand in Hand. Lebensfrohe Menschen lassen sich einfach nicht so schnell stressen, bzw. bleiben auch in stressigen Situationen halbwegs heiter und regen sich nicht unnötig auf. Thomas Gottschalk konnte selbst über sein bis auf die Grundmauern abgebranntes Haus noch Witze machen. Sich nie aufzuregen, das schafft vermutlich niemand, ich auch nicht! Aber gelassen zu bleiben ist mit etwas Übung lernbar. Viele große Unglücke im Leben entpuppen sich im Nachhinein als großes Glück, wenn man einfach darauf vertraut „für irgendetwas wird es gut sein“. Und viele Menschen kennen das, nach einer schlimmen Phase kommt manchmal ganz unverhofft von irgendwoher wieder etwas Licht – das wechselt sich einfach immer mal wieder ab im Leben, und je gelassener man dabei bleibt, umso besser.
Lebensfreude und Großzügigkeit gehen Hand in Hand. Lebensfrohe Menschen haben oft eine regelrechte „Hans im Glück“- Mentalität, hängen nicht so an Besitz, geben gerne und oft. Sie sind großzügig mit allem, mit Komplimenten, mit Geschenken, mit Hilfsbereitschaft, mit Lächeln, mit Freundlichkeit und anderen Dingen. Man sagt nicht umsonst, die Freude, die wir geben, die kommt immer wieder zurück. Oder auch „Glück ist das Einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt“.
Lebensfreude und Humor gehen Hand in Hand. Es gibt sehr selten griesgrämige Kinder. Wer selbst Kinder hat, der kennt das unbändige Kichern von Teenies, die sich über so ziemlich alles kaputt lachen können. Wann verlernen wir Erwachsenen das und werden so ernst? Ich freue mich immer über Menschen mit viel Humor und mich kann man ziemlich leicht zum Lachen bringen (wenn ich schon Falten bekomme, dann wenigstens Lachfalten). Ich schaue auch selten Nachrichten, oder düstere Krimis. Gäbe es endlich die „happy news“, also nur noch positive Nachrichten aus der Welt, da wäre ich sofort am Start. Was ständige negative Nachrichten mit der Lebensfreude und der Psyche machen, konnte man zu Beginn der Corona- Krise gut beobachten. Die Särge in Italien. Die Kühlhäuser in New York. Die Corona-Zahlen. Alle Menschen hingen wie hypnotisiert vor den düsteren Nachrichten. Hat es etwas gebracht für die Lebensfreude? Na also....
Ganz wichtig, das Leben muss keinesfalls perfekt sein, damit man Lebensfreude empfindet. Niemand hat so ein perfektes Leben, auch wenn manche das denken, nachdem sie stundenlang Instagram- Bilder verfolgt haben (was übrigens geradezu tödlich für Lebensfreude sein kann). Auf ein perfektes Leben hinzuarbeiten ist schlichtweg verschwendete Lebenszeit. Lebensfreude kann in jedem Moment entstehen und bedeutet ja im Wortsinn, dass ich mich an meinem schönen, bunten Leben freue. Und bunt machen wir uns das Leben häufig selbst.
Im Gegensatz zur Lebensfreude stehen Depression, Trauer, Angst – jedes Leben kann mal schwarz oder grau sein – manchmal so schwarz, dass man professionelle Hilfe braucht, und das ist auch gar nicht schlimm. Ich ermutige wirklich jeden, sich Hilfe zu suchen, wenn die Lebensfreude fehlt, denn das kann ein ernstes Warnzeichen für ernste Erkrankungen sein.
Und, ein letzter Punkt, wer jetzt sagt, „naja, schön und gut, aber ich hatte so eine schreckliche Kindheit und ich habe so viele Unglücke und so viel Schlimmes erlebt, wie soll ich da lebensfroh sein?“ Das gilt in Studien als hinreichend widerlegt. Es macht keinen Unterschied. Es gibt selbstmordgefährdete Menschen, die nie ein traumatisches Erlebnis hatten, und auf der anderen Seite ausgesprochen resiliente, also widerstandsfähige, lebensfrohe Menschen, die die schlimmsten Erfahrungen im Leben gemacht haben. Meine Mutter war übrigens mit 12 Jahren bereits Vollwaise und hatte das, was man allgemein als schreckliche Kindheit bezeichnen würde.....und gehört trotzdem zu dem lebensfrohesten Menschen, die ich kenne. Sie hat mir mal erzählt, dass sie sich als Kind immer vorgestellt hat, wie ihre Mutter sie vom Himmel aus beobachtet - da wollte sie nicht immer nur traurig sein.
In diesem Sinne ist Lebensfreude vielleicht manchmal auch einfach eine Entscheidung!
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